Carsten Reichert

Bildung 2.0 – Wünsche an das neues Bildungsjahrzehnt

Denke ich an unsere Schulzeit zurück, dann gibt es ambivalente Erinnerungen: Einige Fächer haben uns begeistert, manche Lehrer haben uns fasziniert, wir haben für’s Leben gelernt, wurden mit unseren Wünschen und Anliegen sogar ernst genommen und – man mag es kaum glauben – wir hatten auch Spaß. Diese Gedanken überwiegen. Aber es gab durchaus auch Schattenseiten im Schulalltag: Leistungsdruck, frustrierte und frustrierende Lehrer, weltfremde Inhalte, Angst und Tränen. Diese Erinnerungen sind schwammig, aber vorhanden.

Das Positive überwiegt

Summa summarum hatten wir also eine gute Schulzeit und ich würde auch behaupten, dass niemand durch den Unterricht in irgendeiner Weise Schaden genommen hat. Unser Unterricht war zwar nicht immer innovativ, aber trotzdem abwechslungsreich. Oft werde ich gefragt: Wie stand es denn um die neuen Medien in der Schule? Haben das Internet oder neue Kommunikationstechnologien wie Chat oder SMS eine Rolle gespielt? Ohne jetzt akribisch alle Schulstunden vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen, finde ich schnell eine Antwort: Nein.

Das Problem: Der Medienbegriff

Man muss kein Medienwissenschaftler sein um zu erkennen, dass Medien nicht einfach zu definieren. Aus gutem Grund bin ich ein Verfechter des weiten Medienbegriff, wie ihn z.B. Werner Faulstich formuliert hat:

„Ein Medium ist ein institutionalisiertes System um einen organisierten Kommunikationskanal von spezifischem Leistungsvermögen mit gesellschaftlicher Dominanz.“

Faulstich unterscheidet dabei zwischen Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Quartiärmedien – und zwar abhängig davon, wie sich die traditionelle Sender-Empfänger-Beziehung gestaltet. Nehme ich diese Definition als Grundlage, habe ich sehr wohl einen medienintegrativen Unterricht erlebt. Primärmedien, also traditionelle Menschenmedien, haben in der Schule eine Rolle gespielt: Lehrer haben uns Wissen weitergegeben und erzogen. Hinzu tritt das Theater, das uns zumindest in den Sprachen zentrale Motive und Stoffe der Literaturgeschichte näher gebracht hat. Den größten Teil nahmen natürlich die Sekundärmedien (=Druckmedien) ein: Wir arbeiteten mit Briefen, Flugblättern, Büchern (natürlich!), Plakaten, Zeitungen und Zeitschriften. Und zwar immer so, dass deren Einsatz authentisch war. Eine etwas kleinere Rolle spielten die analogen Medien (Tertiärmedien), auch wenn ihr Einsatz im Laufe der Jahre und mit zunehmendem Alter umfangreicher wurde: Wir untersuchten Fotos und Bilder auf ihren Aussagegehalt, lernten Radio und Kino als kulturrelevante Einrichtungen kennen, sahen Filme und Fernsehsendungen. Und denke ich genauer nach, haben wir auch quartiäre Medien genutzt. Die digitalen Medien wie Computer, Multimedia-Anwendungen oder das Internet hatten dabei zwar meist eher illustrativen Charakter, aber sie waren zumindest vorhanden.

Nicht die Verwendung der Medien im Unterricht ist zentral, sondern die Einbettung

Wenn ich jetzt an der Vergangenheit, also unserer Schulzeit und unseren Lehrern jetzt herumkrittle, dann bezieht sich das keinesfalls auf den Medieneinsatz in der Schule, sondern auf die Mediennutzung. Diese Differenzierung scheint Haarspalterei zu sein, aber dennoch versteckt sich dahinter ein feiner Unterschied: Natürlich kann ich abhängig vom Thema einen Film einsetzen. Spannender als sein Inhalt aber dürfte die Analyse seiner Wirkungsweise sein. Warum funktioniert er? Oder warum tut er es gerade nicht? Nur dann kann es auch gelingen, den zunehmend inhaltsleer gebrauchten Begriff der Medienkompetenz mit Leben zu füllen. Erkenntnisse aus der Wissenschaft haben sich dabei leider noch nicht bis an die Basis, also bin in die Schulen hinein, herumgesprochen. Medienkompetenz lässt sich nicht als Ganzes wie das Einmaleins in die Köpfe der Schüler eintrichtern. Es gilt, verschiedene Teilkompetenzen zu fördern:

• Nutzungskompetenz (i.e. informationstechnische Grundbildung),

• Kritikkompetenz (i.e. Wandel von Medien und medialen Strukturen),

• ästhetische Kompetenz (i.e. Qualität von medialen Angeboten) und

• Gestaltungskompetenz, z.B. in Form eines handlungs- und produktionsorientierter Zugangs zu Medien;

Bei aller Kompetenzorientierung dürfen dabei die Lernziele nicht außer Acht gelassen werden: Natürlich ist Medienkompetenz ein Baustein, aber der allein genügt nicht. Die Schüler müssen auf die Anforderungen der Mediengesellschaft vorbereitet werden – und das unabhängig ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Herkunft oder ihres sozialen Stands.

Medienwelten sind Lebenswelten

Medienwelten sind stets Lebenswelten von Menschen. Junge Menschen müssen deshalb (und auch wenn der pädagogische Grundsatz etwas abgedroschen klingt) dort abgeholt werden, wo sie stehen. Im Kontext von Schule muss es deshalb darum gehen, die „Netz-Welten“ junger Menschen zu verstehen. Dazu bedarf es aber auch eines großen Umdenkens: Es gibt zwar seitens der Bildungsverantwortlichen entsprechende Beschlüsse zur Medienintegration in Schule und Unterricht. Die Kultusministerkonferenz überlässt den Pädagogen dazu ihre Empfehlungen, ohne sie mit Inhalt zu füllen. Sie spricht von Verantwortungen der Bildungseinrichtungen, dabei müsste mit den Entscheidungen eine Verpflichtung der Institutionen – sonst machen Bildungsgipfel und –konferenzen keinen Sinn – einhergehen. Konkret im Fall der Medien: Die Integration von Medien allein ist zu wenig, die Beschäftigung mit ihnen muss medienreflexiv erfolgen. Medien bilden Menschen und haben folglich Konsequenzen für das, was als „Bildung“ diskutiert wird.

Neuorientierung der Lehrerausbildung

Konkretisieren wird die Lehrerausbildung im Bereich der Medien am Beispiel von Blogs, Wikis und Podcasts. Das Web 2.0 spielt in der Ausbildung von zukünftigen Lehrern keine entscheidende Rolle. Im Studium steht der Dominanz der Schriftlichkeit eine ästhetische Abwertung und pauschale Verdächtigung neuer Medien gegenüber. So kann man gegenüber manchem Professor oder Seminarlehrer für Irritationen sorgen, fügt man z.B. Wikipedia als mögliche Wissensquelle an. Es kann natürlich nicht darum gehen, die Inhalte und Struktur der Online-Enzyklopädie unkritisch zu übernehmen oder zu nutzen. Eine Auseinandersetzung mit dem Gegenstand während des Studiums halte ich aber in höchstem Maße für produktiv. Und noch dazu: Wenn ich im Studium nicht mit der Beschäftigung begonnen habe, dann werde ich vielleicht im Berufsleben als Lehrer auch nicht damit anfangen. Damit entfällt den Schülern die Vermittlung eines wichtigen Kompetenzbereichs – und junge Menschen haben ein Recht darauf, mit Medien nicht alleine gelassen zu werden. Genauso darf es nicht dem Zufall überlassen werden, wer aufgrund seiner sozialräumlichen Herkunft medienkompetent wird oder nicht.

Mein Wunschzettel: Mehr Mut haben!

So kurz vor Weihnachten möchte ich einen neuen Wunschzettel beginnen. Ich hoffe sehr, dass das Christkind, der Weihnachtsmann oder auch nur die Bildungsverantwortlichen meine „Wünsche an das neue Bildungsjahrzehnt“ beherzigen:

An oberster Stelle wünsche ich allen Entscheidungsträgern Mut zu Veränderungen. Denn nur so – glaube ich zumindest – lässt es sich angemessen auf die neuen Herausforderungen im Bildungssektor entsprechend reagieren. Wir müssen weg von einem Säulendenken – Bildung ist kein Produkt einer Bildungseinrichtung, sondern ein Ergebnis des Zusammenspiels von Familie, Schule und außerschulischen Bildungseinrichtungen.

Den Pädagogen wünsche ich Mut zu neuen Konzepten. Man muss nicht in jedem Bereich ein Examen vorweisen können oder selbst uneingeschränkter Experte sein. Oftmals reicht ein entsprechender Impuls, der dann auch die Schüler aktiviert, ihr vorhandenes Wissen (gerne auch das von außerhalb der Schule) in den Unterricht einfließen zu lassen. Gerade bei den Medien lohnt die Einbeziehung der Experten auf der anderen Seite des Lehrerpults.

Nicht zuletzt wünsche ich natürlich auch den Schülern etwas für die nächsten zehn, wenn nicht mehr Jahre. Mut zur Akzeptanz nämlich. Es ist nicht selbstverständlich, dass sich eure Lehrer auf unbekanntes Gebiet wagen. Haut sie dabei nicht in die Pfanne, sondern unterstützt wo es geht. Sonst nämlich wird es schwer, Neues auszuprobieren und durchzusetzen.

Ich bin gespannt, was ich unter dem Weihnachtsbaum finde!

(Der Text entstand im Rahmen der Blogaktion „Mehr Bildung in Blogs“ von Literatenmelu.)

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