Carsten Reichert

Von einem, der auszog, das Digitale zu nutzen

2013 habe ich für mehrere hundert Euro Schulbücher bei verschiedenen Verlagen gekauft. Das ist mir bei der Erstellung meiner Inventarliste zwischen den Jahren einmal mehr bewusst geworden. Im Zuge meiner privaten „Digitalisierungsintiative“ (derzeit schaffe ich mobile Geräte, also Tablets, für den beruflichen Gebrauch an) habe ich bei meiner letzten Bestellung angefragt, ob es denn möglich sei, zusätzlich zu dem erworbenen Print-Produkten auch eine Lizenz für die entsprechenden digitalen Lehrwerke zu erhalten.

Vom Verlagsservice Braunschweig, unter dessen „Dach“ mehrere Schulbuchverlage versammelt sind, bzw. von der BMS Bildungsmedien Service GmbH habe ich daraufhin folgende Antwort erhalten:

„vielen Dank für Ihre Bestellung und Ihr Interesse an unseren dititalen Schulbüchern.  Wir bieten Ihnen unsere digitalen Schulbücher als Jahreslizenz zu einem günstigen Preis an. Als Lehrerin oder Lehrer können Sie unsere digitalen Schulbücher gerne kostenfrei für 120 Tage testen. Klicken Sie dazu bei dem jeweiligen Buch den Link „Digitales Schulbuch Lehrer-Testlizenz“ an.“

Über diese kurze, wahrscheinlich standardisierte Antwort, habe ich mich zugegebenermaßen geärgert. Denn: Für die Inhalte habe ich bereits zu 100% gezahlt, für den selben in digitaler Form soll ich nun noch einmal in die Tasche greifen – und zwar jährlich, was bei mehrjähriger Nutzung (und Schulbücher werden in den Schulen ja durchwegs mehrere Schuljahr genutzt) zu mindestens doppelt so hohen Anschaffungskosten führt, ohne dadurch einen inhaltlichen (!) Mehrwert zu erhalten.

Meinem Unmut habe ich erst einmal Luft machen müssen:

Prognose: So wird das nichts mit den digitalen Schulbüchern…

— Carsten Reichert (@CarstenReichert) 4. Januar 2014

Twitter sei dank muss man bei solchen „Steilvorlagen“ nicht lange auf Antwort warten:

 

 

 

 

Hier nur ein kurzer Abriss meiner morgendlichen Konversation. Hier entstand auch die Idee, über dieses Thema zu bloggen. Ich konnte einige Gedanken aufgreifen und habe diese als Fragen formuliert nun an den VSB bzw. die BMS geschickt. Ich auf deren Antwort gespannt – und werde hier natürlich über den Fortgang berichten.

Ich arbeite an einer Schule, die medial sehr gut aufgestellt und ausgestattet ist. Digitale Materialien könnten wir hier schnell und unkompliziert einsetzen. Aus wirtschaftlicher Sicht wird dies aber nicht möglich sein – die Anschaffung weiterer, kostspieliger Lizenzen wird der Sachaufwandsträger nicht stemmen können. Und selbst, wenn er es könnte, könnte ich ihm nicht dazu raten, es zu tun.

Da ich nicht davon ausgehe, dass übermorgen ein großer Bewusstseinswandel bei den Verlagen einsetzt, ist wohl die OER-Debatte weiterzuführen. Eine gelungene Einführung inklusive Zusammenfassung der Debatte für Deutschland gibt es im Blog von Torsten Larbig, dessen Lektüre ich nur freundlich empfehlen kann.

Ich zog aus, das Digitale (im Unterricht) zu nutzen. Ich resigniere ob der Reaktionen nicht.

Update vom 19.01.2014: Antwort des „Schulbuchzentrums“ (Westermann, Schroedel & Co.)

Nach einigen Tagen Wartezeit erreicht mich heute die Antwort der BMS Bildungsmedien Service GmbH:

Aktuell bieten wir für unsere digitalen Schulbücher Jahreslizenzen an, welche ca. 1/3 des Preises des dazugehörigen Printwerkes kosten. Weitere Lizenzmodelle werden derzeit geprüft und so werden zukünftig sicherlich auch weitere Lizenzen zu anderen Konditionen und Laufzeiten angeboten werden. Sobald dies der Fall ist, werden wir darüber auf den folgenden Seiten informieren: [… es folgen die Websites der angeschlossenen Verlage …]

Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesen Informationen behilflich sein konnten.

Ätzend! Da fehlen einem echt die Worte – man möchte einen konstruktiven Diskurs starten und wird mit einer 08/15-Antwort abgespeist. Mein Fazit bleibt also: So wird das nichts mit den digitalen Schulbüchern…

 

8 Kommentare zu “Von einem, der auszog, das Digitale zu nutzen

  1. Hokey

    Nun, du kaufst jetzt eben keine Schulbücher mehr, sondern eine Software. Und wie bei Photoshop, Windows, Office und Konsorten hast du für neue Versionen zu bezahlen. Das ist der Preis der Digitalisierung. Belletristik bekommst du übrigens auch nicht digital nachgeworfen, und wenn du etwas auf VHS kaufst, schenkt dir niemand die Blu-Ray dazu. Ausgerechnet von den Schulbuchverlagen Samariterdienste zu erwarten, nur weil die im Bildungsbereich tätig sind, halte ich für optimistisch.
    Ohne ordentliche (mobile?) Endgeräte in der Breite wird das Ganze sowieso nicht laufen. Solange der OHP bei uns das Standardgerät ist und ein Beamer per Liste vorgemerkt werden muss, bin ich so oder so gezwungen, auf digitale Meiden zu verzichten. Egal, ob OER oder teure Verlagsprodukte.

    1. Carsten Reichert Autor des Beitrags

      Danke für den Kommentar… 🙂
      Es geht mir nicht um eine Kostenlos-Kultur! Um bei Deinem Beispiel zu bleiben: Wenn ich eine Office-Lizenz habe, dann kann ich diese Version von CD installieren und nutzen oder aber ich lade die Installationsdatei aus dem Netz und schalte sie mit meinem Lizenzschlüssel frei. Ich habe hier die Möglichkeit, beide Wege zu nutzen – und das fehlt mir beim Schulbuch. Und darüber hinaus ist das digitale Produkt insgesamt auch noch teurer, da es „abläuft“ und stets erneuert werden muss. Ich zahle gerne für gute Arbeit, aber irgendwo ist auch das Urheberrecht einmal erfüllt. Oder?

  2. Hokey

    Es geht den Verlagen ja nicht um das Urheberrecht, die wollen schlicht so viel Geld wie möglich verdienen, und das geht mit ablaufenden Lizenzen viel besser. Es wird sich zeigen, wer am längeren Hebel sitzt: Die Verlage, die uns ihr Geschäftsmodell aufzwingen wollen, oder die Lehrerschaft, Schulen, Eltern, die sich das nicht bieten lassen wollen. Vermutlich wird das noch ein wenig hin und her gehen, die Preisgestaltung wird sich vielleicht anpassen, aber wie gesagt: Für mich sehe ich im Alltag noch keinen wesentlichen Nutzen in digitalen Schulbüchern, gleichwohl ich hier (privat) medial ganz gut aufgestellt und mit entsprechenden Kompetenzen ausgerüstet bin. Solange sind mir die medialen Bemühungen der Verlage herzlich egal.

    (Ein wenig sieht man ja den Trend im Bereich Musik / Film, wo sich die Nutzungsmöglichkeiten hin zu einer Abo-Nutzung entwickelt wie bei Spotify oder Watchever. Mir fehlt noch eine ähnliche Lösung für Bücher – und für Schulbücher: Vollzugriff auf alle Schulbücher für 10€ im Monat? Ich wäre dabei… leider erreichen die Verlage nicht ähnlich hohe Nutzerzahlen, wie entsprechende Medienangebote. 🙁 )

  3. Tom Jork

    Danke für den Artikel – ich bin gespannt auf die Antworten der Verlage. Vor einiger Zeit habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht (und in meinem Blog berichtet: http://wp.me/p3hNW3-HV). Es ging mir darum, dass ich wenigstens die überteuerten digitalen Schulbücher innerhalb einer meinem Arbeitsablauf entsprechenden digitalen Form nutzen kann – als PDF ohne den Zwang zur Installation dieser unmöglichen „verlagsübergreifenden“ Software – Pustekuchen. Die Angst der Verlage, Ihre Kontrolle über die Inhalte und deren Verwertung aus der Hand zu geben lähmt die Digitalisierung des Bildungswesens. Ohne ein Schritt in Richtung neuer, offener Lizenzmodelle (OER mal ganz praktisch gesehen: http://wp.me/p3hNW3-Ls) wird das tatsächlich nichts werden. Wie schon die Musik- und die Filmindustrie werden sich auch die Buchverlage ihr eigenes Grab schaufeln, bis sie merken, dass revolutionäre Technik auch von den Anbietern Revolutionen erwartet. In der Zwischenzeit muss ich leider in die rechtliche Grauzone abtauchen (Redigitalisierung digitaler Schulbücher: http://wp.me/p3hNW3-I8), um einfach nur arbeiten zu können. Gibt es sonst noch eine Berufsgruppe, die sich strafbar machen muss, wenn Sie ihre (selbst bezahlten) Arbeitsmittel auch noch vernünftig nutzen möchte?

  4. HerrHolze

    Ich durfte Anfang Dezember einem Vertreter von Cornelsen lauschen, der im Rahmen einer Medienfortbildung digitale Schulbücher vorgestellt hat. Der Vortrag hat mich wirklich ratlos zurück gelassen.
    Ich sah im Prinzip eine PDF-Umsetzung eines bestehenden Buches, das mit Links zu verschieden Medien (Ton, Bild, zum Teil Film) angereichert war und das nach fünf Jahren nicht mehr aufzurufen ist. So lange schätzt man die Lebensdauer eines Schulbuches ein. Der „Mehrwert“ für Lehrer war, dass man Anmerkungen im Buch machen und das Buch 1-1 auf ein Whiteboard übertragen konnte. Dazu muss das Buch aber lokal im Klassenzimmer gespeichert werden (wenn man kein Internet hat).
    Für Schüler hat das Buch im Prinzip keinen weiteren Mehrwert im Hinblick auf Übungen… Der Verlag ist aber recht stolz auf sein Onlineportal, das man als Schüler (gegen entsprechendes Entgelt) nutzen kann.
    Bei der Fortbildung waren im Prinzip nur medienaffine Kollegen und alle haben den Kopf geschüttelt. Wir hatten den Eindruck, dass die Verlage noch nicht verstanden haben, was digitale Schulbücher leisten können und entweder völlig unvorbereitet an die Sache herangegangen sind oder auch einfach keine Lust haben, etwas neu zu entwickeln. Die alten Bücher laufen ja noch recht erfolgreich. (Ich vergleiche das gerne mit der Autoindustrie und hatte dazu mal einen Blogeintrag geschrieben: http://www.stephan-holze.de/?p=1170).
    Ich erwarte nicht, dass ich digitale Schulbücher umsonst bekomme, aber die Rahmenbedingungen der Verlage und die Inhalte lassen mich zu einem ähnlichen Fazit kommen: Im Moment kann ich niemanden raten, sich auf die Angebote einzulassen.

    1. Carsten Reichert Autor des Beitrags

      Bei uns war seinerzeit mal jemand im Studienseminar und hat für digitale Inhalte seines Verlags geworben – ich war damals nicht nur ratlos, sondern grantig: Der Vertreter hat nicht mal geleugnet, dass es quasi nur nachträglich digitalisierte Inhalte sind, die man ohne Mehrwert kaufen soll. Also im Prinzip nichts, was man zu Hause mit Zeit, einem PC und einem Scanner nicht auch hinbrächte. Fürchterlich!

  5. Hokey

    Ich stimme euch ja zu, mache hier aber trotzdem mal den advocatus diaboli. Die Verlage sind ja (hoffentlich) nicht blind, und sie sehen, dass all die Möglichkeiten, die es ja jetzt schon gibt, schlichtweg nicht genutzt werden. Was ist mit Moodle und den tollen Übungsmöglichkeiten? Nix is‘! Was ist mit Wikis in der Schule? Nix is‘! Wie nutzen Schulen ihre Homepages zum Lernen? Gar nicht! Das, was toll funktioniert, ist das Whiteboard, also die Verlängerung der grünen Tafel in die digitale Welt. Warum nicht also einfach das Schulbuch blöd verlängern und die mühsame Investition von Zeit, Geld und andere Ressourcen für langwierige Web- und Computerprojekte anderen überlassen. Das kann in die Hose gehen, wenn neue Platzhirsche entstehen sollten (Schulbuch-o-Mat?), andernfalls kann man aber auch schnell auf den Zug aufspringen.

    Und wie oben schon geschrieben: Solange man an den Schulen mangels Nachfrage (ergo: Endgeräten) mit solchen Projekten keinen nennenswerten Umsatz generieren kann (an meiner Schule exakt null Euro), solange werden die auch nicht aus dem Quark kommen wollen.

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