Carsten Reichert

Avatar – Aufbruch nach Pandora

James Camerons Avatar bricht seit seinem Kinostart im Dezember alle Rekorde. Mit seinen Gesamteinnahmen von über 2 Mrd. US-Dollar stach Cameron damit gar sein Titanic-Epos aus. Ungeachtet dessen, dass bei der Bewertung seines neuen Films Inflation und Preissteigerungen nicht berücksichtigt wurden, kann man trotzdem davon ausgehen, dass sich Avatar auf lange Sicht als Film-Klassiker etablieren wird.

Die Story ist, glaubt man einigen Filmkritikern, an sich nicht spektakulär und besonders originell: „Im Jahr 2154 sind die Rohstoffvorkommen der Erde erschöpft. Die Menschen haben begonnen, in den Weiten des Alls nach Alternativen zu suchen. Federführend ist der Konzern Resources Development Administration (kurz RDA), ein Raumfahrt-Konsortium, das auf Pandora, einem erdähnlichen Mond eines fiktiven Planeten namens Polyphemus im Sternsystem Alpha Centauri, eine Mine betreibt. Der Abbau des begehrten Rohstoffs Unobtanium erweist sich trotz angeschlossener Militärbasis als schwierig, denn Pandora ist von einer für Menschen giftigen Atmosphäre umgeben und zudem Lebensraum einer intelligenten humanoiden Spezies namens Na’vi.“ (Wikipedia, Zugriff am 5.2.2010). Dass der Konflikt zwischen Mensch und dem außerirdischen Naturvolk nicht lange auf sich warten lässt, ist absehbar.Doch der Schein trügt. Schon beim ersten Sehen des Films drängen sich zahlreiche, tieferliegende Themenkomplexe auf, die in diesem Film verhandelt werden. Dies geschieht, wie das für AV-Medien üblich ist, direkt und indirekt.

(Zeit-)Historischer Kontext:

  • Die ersten Siedler auf dem amerikanischen Kontinent sahen sich, wie auch die Menschen in Avatar mit einer menschlichen, aber unbekannten Spezies konfrontiert. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass die Na’vi im Film sehr einem Indianervolk ähneln.
  • Die Umsiedlung von Menschen (um Ressourcen besser ausschöpfen zu können) ist traurige Realität der Geschichte. Bekannt sich die Vertreibung von Indianerstämmen in bestimmte Ressorts. Ebenso verfährt die chinesische Zentralregierung heute bei Großbauprojekten. Es muss also nicht verwundern, dass Avatar schnell die Propagandabehörde auf den Plan rief.
  • Sinngemäß wird im Film Folgendes geäußert: „Wenn jemand auf etwas sitzt, dass Du haben möchtest, dann erkläre ihn zum Feind und bekämpfe ihn.“ Dieses Zitat erklärt, warum James Cameron angeblich einen tiefen Antiamerikanismus hege: „weil er die Zuschauer die Niederlage amerikanischer Soldaten herbeisehnen lasse.“ (so ein Kommentar im SPIEGEL 2/2010, S. 100). Die USA sehen sich bei ihren militärischen Operationen im Osten (Afghanistan, Irak, etc.) zunehmend der Kritik ausgesetzt, nicht aus humanitären Gründen zu intervenieren, sondern aus wirtschaftlich-politischen Motiven.

Philosophisch-moralischer Kontext:

  • Edle Wilde: Wie schon Jean-Jacques Rousseau in seinem „Discours sur l’inégalité“ erkannt hat, sind Menschen grundsätzlich unverdorbene Naturmenschen, die erst durch ein Zusammentreffen mit der „Kulturgesellschaft“ verrohen. Die Na’vi leben im Einklang mit der Natur, erst das Eintreffen der Menschen und die Ausbeutung der Ressourcen zwingt sie zum Aufstand gegen die Besatzer. Diese Situationen entstanden in realier Welt natürlich primär in Zeiten maximaler Expansionsbestrebungen europäischer Mächte, so z.B. Afrika, Asien, Amerika und im Pazifik, die zur Vereinnahmung der dortigen Kulturen in den Machtbereich der Eroberer führten.
  • Prometheische Schöpfung: Die Menschen schaffen selbst humanoide Na’vis und werden damit zum „second maker“ (Shaftesbury). Dieser Eingriff in die Schöpfungsgeschichte ist immer mit der ethischen Frage nach Verantwortung für die eigenen Schöpfung verbunden. Die Menschen schaffen es in Avatar nicht, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Intertextualität

  • Jack Sully ist Botschafter zwischen zwei Welten. Dieses Motiv ist bereits aus Disneys „Pocahontas“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“ (u.a. mit Kevin Costner) bekannt.
  • Schöpfung eigener Na’vi: Die Bildung anderer Geschöpfe nach mehr oder weniger eigenem Bild ist ein Motiv mit langer Tradition in Literatur- und Filmgeschichte. Der knappe Verweis auf Prometheus und Frankenstein muss an dieser Stelle genügen.
  • Weitere mythologische Verweise liefert Wikipedia im bereits erwähnten Artikel: Der Name des Mondes Pandora (Πανδώρα) stammt aus dem Griechischen und kann mit „Die, die alles hervorbringt“ übersetzt werden. Der Namensgeber des Planeten Polyphemus (Πολυφημος, frei übersetzt „Der Berühmte“) ist in der griechischen Mythologie ein einäugiger Riese. Polyphemus wird ähnlich dem Planeten Jupiter mit seinem charakteristischen augenähnlichen roten Fleck dargestellt.

Wenn Avatar also nun also „kanonbildend“ sein wird, dann muss er ebenfalls seinen Platz in der Filmbildung der Schulen finden. Auch vor dem Hintergrund des sog. Lebensweltbezugs muss es darum gehen, aktiv die Filmlesefähigkeit junger Menschen zu schulen, sozusagen als einer Art ästhetischer Alphabetisierung durch learning by viewing. Natürlich kann man die Auseinandersetzung mit dem Film Avatar auf der Ebene von Camerons technischer Innovationen führen. Interessanter und innovativer ist der Filmeinsatz aber hinsichtlich der oben erörterten Kontexte. Dazu bedarf es nicht viel mehr als einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Aspekt.

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