Carsten Reichert

„Jud Süß“ freigeben?

Gestern habe ich an einer Lehrerfortbildung teilgenommen, die sich dem NS-Propagandafilm „Jud Süß“ widmete. Heute folgte dann ein sog. „Kino-Seminar“, in dem Schüler dieses Stück nationalsozialistischer Propaganda analysieren sollten. Ermöglicht wurden beide Veranstaltungen durch die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, die gleichzeitig Rechteinhaber des Films ist, und dem Institut für Kino und Filmkultur, die mit Michael M. Kleinschmidt als Medienpädagogen einen hervorragenden Referenten stellte. Dass beide Veranstaltungen nach Aschaffenburg geholt werden konnten, ist der Stadtbibliothek, der Johannes-de-la-Salle-Schule, dem Casino-Kino und der JuKuZ Medienwerkstatt zu verdanken.

Über den Film, seine Entstehungsgeschichte und seine Rezeption muss nicht viel gesagt werden: „Protagonist des Films ist Joseph Süß Oppenheimer, ein jüdischer Finanzbeamter, der wohl im Februar 1698 in Heidelberg geboren und am 4. Februar 1738 in Stuttgart hingerichtet wurde. Süß Oppenheimer wurde 1733 Geheimer Finanzrat unter Herzog Karl Alexander von Württemberg. Oppenheimer, der im Film deutlich mephistophelische Züge trägt, erlangt durch Zuwendungen die Gunst des Herzogs und überredet diesen zu immer weiterer Untreue gegenüber seinem Volk zu Gunsten seines eigenen luxuriösen Hofstaates. Zur Rückzahlung der angehäuften Schulden erhält Oppenheimer zunächst das Recht, Straßenzoll zu erheben. Diesen führt er ohne Zustimmung der Stände ein. Die Opposition gegen den Herzog konzentriert sich deshalb auf Joseph Süß Oppenheimer, dem Verfassungsbruch und persönliche Bereicherung im Amt vorgeworfen werden. Oppenheimer treibt den Herzog zum Widerstand gegen die Stände an. Er rät ihm zur gewaltsamen Niederschlagung der drohenden Revolution. Oppenheimer versucht immer wieder, sich der als „arisch“ bezeichneten Dorothea zu bemächtigen. Während ihr Mann, der zu den Gegnern des Herzogs gehört, im Auftrag von Oppenheimer gefoltert wird, vergewaltigt Oppenheimer Dorothea. Sie begeht daraufhin Suizid. Ihr Ehemann birgt ihren Leichnam aus dem Fluss. Es kommt zum Aufstand. Nach dem plötzlichen Tod des Herzogs wird Oppenheimer verhaftet. Er wird wegen des Geschlechtsverkehrs mit einer Christin zum Tode verurteilt. Am Schluss des Films wird der um sein Leben bettelnde Oppenheimer gehängt. Propagandaminister Joseph Goebbels hat auf dieser Version des Endes bestanden, um Oppenheimer elender und nicht heroisch darzustellen. In der ursprünglichen Fassung ergibt sich der Verurteilte stoisch in sein Schicksal und schickt einen grimmigen alttestamentlichen Fluch gegen seine Richter und die Bürger der Stadt aus. Die offizielle Version ist nur nachsynchronisiert, so dass man die Worte Oppenheimers noch von seinen Lippen ablesen kann.“ (Wikipedia)

Interessanter ist eine Frage, die der Referent Fleckenstein, am Ende beider Veranstaltungen in den Raum gestellt hat. Wie solle man denn mit propagandistischen Filmtiteln heute umgehen sollen. Sog. „Vorbehaltsfilme“ sind „vorwiegend Propagandafilme aus der Zeit des Nationalsozialismus, deren Inhalt kriegsverherrlichend, rassistisch oder volksverhetzend ist, denen z.T. die Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) verweigert wurde und die auf Beschluss des Kuratoriums der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung von ihr nicht gewerblich ausgewertet werden. Die Filme kommen ausschließlich in geschlossenen Veranstaltungen, etwa im Rahmen der politischen Bildungsarbeit, mit sachkundiger Einführung zum Einsatz“ (Wikipedia). Was spricht jedoch dagegen, diese Film frei zugänglich, etwa im TV oder auf DVD, zugänglich zu machen? Rechtlich ist seit 1963 klar: Der Film ist mit seinem Inhalt und seiner Darstellung volksverhetzend, wie das BGH festgestellt hat. Andererseits sollte der vielzitierte „mündige Bürger“ doch ein solches Machwerk durchschauen und entsprechend bewerten können.

Auch wenn ich der Bevormundung nicht das Wort reden möchte: Ich bin auch dafür, dass solche Filme weiterhin nur in einem geschützten, moderierten Kontext zu sehen sind. Ähnlich wie für andere Bereiche der Vergangenheitsbewältigung (z.B. Gedenkstätten) haben wir auch hier die Verantwortungsfrage (und eben nicht die Schuldfrage) zu bejahen, dass so etwas wie der Nationalsozialismus nicht wieder geschehen darf. Dazu gehört es auch, propagandistische Medien nicht unkommentiert zu publizieren. Auf der anderen Seite müsste man sonst auch z.B. indizierte Musiktitel (wie etwa das Horst-Wessel-Lied) oder Schmähschriften wie die Zeitung „Der Stürmer“ oder Hitlers „Mein Kampf“ veröffentlichen. Letzteres wird sowieso problematisch, wenn dafür 2015 die urheberrechtliche Schutzdauer gemäß §64 Abs. 1 UrhG erlischt. Inwiefern dieses Datum der rechten Bewegung neuen Auftrieb geben wird, bleibt abzuwarten.

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