Carsten Reichert

Sommerlektüre 2014

Auch in diesem „Sommer“ (das Wetter hat es möglich gemacht) habe ich wieder einiges gelesen. Bereits im letzten Jahr hatte ich meine „Leseliste“ ja hier online gestellt. Vielleicht kann ich auch heuer wieder ein paar Tipps geben. Bücher, die kursiv gedruckt sind, liegen noch auf meinem Stapel bzw. werden aktuell (es sind ja noch Ferien) geschmökert. Bereut habe ich in jedem Fall keinen Titel…

 

Belletristik (inklusive Kinder- und Jugendliteratur)
  • Jonas Jonasson: Die Analphabetin, die rechnen konnte.
    Nach dem „Hundertjährigen“ wieder ein Roadmovie aus dem Hause Carl’s Books. Jonassons Erstling war insgesamt etwas runder und auch spritziger, aber sein neuer Roman kann durchaus auch unterhalten. Darüber hinaus lernt man ein bisschen was über die Geschichte in Südafrika.
  • Dietrich Schwanitz: Der Campus.
    Obwohl der Erstling von Schwanitz schon einige Jahre auf dem Markt ist hat er nichts von seiner Aktualität verloren. Der Autor erzählt von den Niederungen des Hochschuldschungels, in dem falsche political correctness und der stetige Bildungsverfall eine dominierende Rolle eingenommen haben. Eine schwarze Persiflage auf den Universitätsbetrieb, von dem sogar Reich-Ranicki sagte: „Ich bin für dieses Buch. Ich bin froh, dass ich es gelesen habe.“
  • Peter Freudenberger: Stiller und der Gartenzwerg.
  • Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken.
    Zugegeben, es ist erst einmal absurd, wenn jemand ein Episoden-Buch über das Zusammenleben mit einem Känguru schreibt. Dennoch kann Kling mit diesem Kolumnen-Stil unterhalten und durchaus auch gesellschaftskritisch-politisch sein. Immerhin war das Känguru beim Vietkong…
  • Wolfgang Herrndorf: Tschick.
    Ein Roadmovie in Prosa. Eine schöne Geschichte über zwei Jugendliche auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Eine Parabel auf „Freundschaft“. Lesenswert für Jung und Alt.
  • Victor Caspak: Die Kurzhosengang.
  • Jaromir Konecny: Dönerröschen.
    Im Vergleich zur ARD-Serie „Türkisch für Anfänger“ kommt Konecnys Jugendroman etwas schlicht daher. Aber Wortwitz und idealisierte (aber nicht ausschließlich stereotype) Charaktere können das Ganze wettmachen. Ein Buch voller Dialoge für den Dialog zwischen den Kulturen.

 

„Große Literatur“ (Kanon)
  • Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm.
    Diese Liebesgeschichte kommt etwas anders daher, als man es vielleicht erwartet hat. Die Erzählung ist heiter und melancholisch, macht an anderer Stelle ebenso nachdenklich. Die Episoden sind das Roman-Debüt von Tucholsky und haben nichts von ihrem Geist verloren. So kann sich der Leser an geistreich-dialektalen Dialogen ebenso erfreuen, wie an sprachmächtigen Schilderungen antiker Exzesse.
  • Kurt Tucholsky: Rheinsberg.
    Wo ich schon bei Tucholsky war, habe ich gleich „Rheinsberg“ angeschlossen, das ja eine Art Vorläufer von „Gripsholm“ gewesen ist. Hier ist neben der Provokation, dass ein unverheiratetes Paar in der Kaiserzeit einen Wochenendausflug macht, v.a. der ironische Stil das Unterhaltende. Wo sonst findet man sonst eine so unverfälschte, unkonventionell wörtlich übernommenen Umgangssprache?
  • Max Frisch: Biedermann und die Brandstifter.
    Schon längere Zeit hatte ich nichts mehr von Frisch gelesen. Umso mehr hatte ich mich wieder auf ihn gefreut. Das Biedermann-Drama war seinerzeit mein erstes Werk von ihm – und ich überlege, Frisch mit diesem Stück einmal wieder in den Unterricht zu bringen. So erscheint mir die Parabel mit ihrer Brandstifter-Symbolik angesichts von Terror im Allgemeinen oder der NSU im Speziellen doch immer noch so zeitlos.
  • Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß.
    Vor zwei Jahren war ein Auszug daraus Teil des bayerischen Deutschabiturs. In Hessen müssen wir derzeit laut kultusministerieller Leseliste nur mit der Lyrik des Expressionismus auskommen. Ich war daher auf der Suche nach Prosa-Texten, die man in den Unterricht einstreuen kann. Der „Törleß“ ist nicht nur ein Pubertätsroman, sondern auch eine Bewertung der autoritären Gesellschaftshierarchien der Kaiserzeit.
  • Bert Brecht: Erzählungen (in Auszügen)
    Seit der „Mutter Courage“, dem „Aufhaltsamen Aufstieg das Arturo Ui“ und einigen lyrischen Stücken hatte ich nur wenig mit Brecht zu tun. Umso mehr wollte ich mal wieder etwas von ihm lesen. In der Suhrkamp-Ausgabe seines Gesamtwerks gibt es einen Band mit Kurzprosa, der zum Nachdenken, Schmunzeln und Empören anregt.

 

Lyrik
  • Frank Wedekind: Die vier Jahreszeiten.
    Wedekind ist ja hauptsächlich durch sein dramatisches Werk („Frühlings Erwachen“) bekannt. Darüber hinaus hat er einige provokante und schelmenhafte Gedichte hinterlassen. Eine Anthologie, die Lust auf mehr von ihm macht.
  • Hans Magnus Enzensberger: Gedichte 1950-2000.
    In der Schule hänge ich mich (wer weiß, warum) zu sehr an „alter“ Lyrik auf. Umso mehr hilft es, sich ab und an auch mal bewusst moderne Stücke vorzunehmen. Allerdings ist „modern“ angesichts der 50-jährigen Schaffenszeit von Enzensberger ein wirklich dehnbarer Begriff 🙂
  • Andreas Thalmayr: Lyrik nervt. Ein Erste-Hilfe-Buch für alle, die meinen, daß sie nichts mit Gedichten anfangen können.
    Unter diesem Pseudonym hat Enzensberger (Thalmayr sei ein „pädagogischer Stellvertreter) eine Anleitung zum Lieben von Lyrik verfasst. Sehr unterhaltsam kann man sich hier in die Welt der Poesie einführen lassen.
Geschichte
  • Erhard Eppler: Als Wahrheit verordnet wurde. Briefe an meine Enkelin.
    Eppler meldet sich derzeit wieder häufiger zu Wort. Ich denke, man muss kein SPD-Mitglied oder Sympathisant sein, sich mit seinen Gedanken auseinanderzusetzen. In seiner Briefsammlung schreibt er seine Erinnerung an die NS-Zeit nieder. Beeindruckende Schilderung, nicht nur für Jugendliche, deren politisches Bewusstsein gerade erwacht.
  • Loic Dauvillier et. al: Das versteckte Kind. graphic novel.
    Auf der Buchmessen 2013 habe ich einmal mehr vorgestellt, dass mein Wissen über graphic novels sehr begrenzt ist. Sie sind mehr als Comics, haben häufig noch mehr Tiefgang und ermöglichen – insbesondere bei jungen Menschen – einen altersgemäßeren und emotionaleren Zugang. „Das versteckte Kind“ erzählt eine Art Anne-Frank-Geschichte, eine Geschichte der Shoa in Bildern. Ohne alles bis ins letzte Details auszuführen, gelingt es den Autoren, trotz mancher historischer Ungenauigkeit, ein prägnantes Bild zu zeichnen.

 

 

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